Der neurobiologische Bremskraftverstärker
Der innere Schweinehund
In meinen Seminaren und Workshops erlebe ich immer wieder Klagen darüber, dass Vorhaben, die in Meetings oder in Personalgesprächen vereinbart wurden, gescheitert sind. Das kann mehrere Gründe haben: unrealistische Ziele, veränderte Rahmenbedingungen, Zieldiktat statt Ziel -„Vereinbarung“ ... Häufig handelt es sich hier aber auch um den sogenannten „Inneren Schweinehund“, der danach trachtet, Vorhaben zu sabotieren.
Er meldet sich, wenn sich etwas ändern soll: Keller aufräumen? Heute nicht! Mit dem Fahrrad zur Arbeit? Morgen ist auch noch ein Tag! Lampe reparieren? Der Krimi bringt mehr Spaß! Veränderungen sind dem inneren Schweinehund ein Gräuel, besonders gerne torpediert er gute Vorsätze, wie jene zum Jahreswechsel, und gibt erst dann Ruhe, wenn der gewohnte Zustand wiederhergestellt ist. Faulheit statt Fitness, Döner statt Diät, Spielen statt Sport.
Auch im Geschäftsleben ist der innere Schweinehund aktiv und warnt vor Veränderungen. Seine Hauptwaffe sind hemmende Glaubenssätze, die blockieren und unsichtbare Fesseln anlegen. „Das schaffen wir nie!“, „Als Frau bin ich für eine Führungsaufgabe völlig ungeeignet.“, „Männer sind sprachlich ohnehin untalentiert.“
Schweinehunde in Unternehmen suchen gierig die Büros nach Veränderungsfutter ab. Oft raunen sie einem ins Ohr, „diese Arbeit kannst Du auch ein anderes mal erledigen“, „schon wieder neue Aufgaben? Ich kann mich nicht so schnell an neue Dinge gewöhnen.“ ... Der Schweinehund liebt die Prokrastination, die Aufschieberitis getreu dem Motto: Was Du heute kannst besorgen, verschiebe es auf übermorgen.
Jeder kennt den inneren Schweinehund, er behindert, bremst, lockt oft mit kurzfristigen Vorteilen und verschleiert die langfristigen Nachteile.
Was ist eigentlich der innere Schweinehund? Werfen wir einen Blick in unseren Kopf, dem Wohnort des inneren Schweinehundes. Dort hat er sich, wie Stefan Frädrich es anschaulich beschreibt, „mehrere Räume mit klangvollen Namen eingerichtet, z.B. den Lustgarten (Nucleus accumbens) oder die Zentralbibliothek (Hippocampus). Dort jongliert er häufig mit unseren Botenstoffen, um unsere neuronalen Netzwerke zu aktivieren oder zu hemmen.“
Unser Gehirn macht zwar nur rund 2% unseres Körpergewichtes aus, aber es verbraucht mehr als 20% unserer gesamten Energie. Die Folge: Es muss Energie gespart werden, was auch zuverlässig und effektiv gelingt. Wir alle haben im Laufe unseres Lebens Verhaltensweisen oder Gewohnheiten entwickelt, die uns in die Lage versetzen, Dinge „automatisch“, routiniert zu tun. Dafür ist der „Autopilot" zuständig. Er entlastet unseren „Arbeitsspeicher“. Das gilt für Tätigkeiten wie Autofahren, Ballspielen oder Schwimmen ebenso wie beispielsweise für kommunikative Verhaltensweisen, die wir im Zusammenleben „wie programmiert“ abrufen. Das Gehirn liebt Vereinfachungen und verallgemeinernde Abkürzungen. Der „Arbeitsspeicher“ wird also entlastet und der Energieaufwand reduziert, vielleicht dient der innere Schweinehund auch als Wachhund, weil er vor Gefahren warnt? Da das Gehirn nur einen Bruchteil der aufgenommenen Umgebungsreize bewusst verarbeiten kann, konzentriert sich unser Denkorgan auf Signale, die unseren Erwartungen und Interessen entsprechen. Der innere Schweinehund ist stets zu Diensten bei der Abwehr neuartiger Ereignisse, alles soll so bleiben wie es ist.
Nichts Neues wagen...?
Wir alle brauchen Faustregeln, sie bieten Orientierung und können uns vor Gefahren schützen. Der Schweinehund hat – so gesehen – auch eine Schutzfunktion. Wir müssen allerdings auch erkennen, dass eingefahrene Verhaltensweisen, die zum Zeitpunkt ihres Entstehens sinnvoll waren, nun – unter veränderten Gegebenheiten – Entwicklungen behindern und zu irrealen Trugbildern werden. So betrachtet erscheint Changemanagement im Business als eine äußerst anspruchsvolle Herausforderung. Wer im Betrieb etwas verändern will, kommt nicht darum herum, auch mit dem inneren Schweinehund zu rechnen.
Schweinehunde im Business
Wie lässt sich der Schweinehund zähmen?
Wir sind keine Sklaven der Biologie. Von daher können wir lieb gewordene Verhaltensmuster ablegen und Gewohnheiten verändern. Wie lässt sich der innere Schweinehund, dieser kuriose Weggefährte, zähmen? Ihn zu bekämpfen ist so praxistauglich wie Sandalen in der Arktis, denn er ist Teil von uns. Allerdings hat jedes Gehirn seinen eigenen Kopf, jeder Schweinehund hat seine eigenen Tricks und seine eigene Strategie. Von daher sollten zunächst einmal folgende konkreten Fragen beantwortet werden: In welchen Bereichen ist mein Schweinehund aktiv? Mit welchen Sprüchen torpediert er meine/unsere Vorhaben? Gibt es in der Abteilung einen „meinungsbildenden“ Schweinehund, der die Kolleginnen und Kollegen ansteckt? Stimmt es denn wirklich, was er mir in meine Ohren raunt? Gibt es Gegenbeispiele? Was wäre, wenn wir das Gegenteil dessen, was der innere Schweinehund rät, tun?
Viele Ratgeber versuchen auf der rationalen Ebene gegen den inneren Schweinehund anzugehen. Hat eine Präsentation der Ernährungspyramide, Sahnetorte macht dick, Obst und Gemüse nicht, jemals jemanden geholfen, seine Vorlieben abzulegen? Haben Zahlen, Daten, Fakten für eine Umstrukturierung des Unternehmens oder einer Abteilung das Team wirklich überzeugt?
Werner Tiki Küstenmacher, Autor des Bestsellers „Simplify Your Life“, nennt den inneren Schweinehund „Limbi“, womit er eine neurobiologische Spur ins Limbische System legt, einer Region im Gehirn, in der unsere Gefühle ihren Ursprung haben.
Unser Verhalten wird von unseren Emotionen gesteuert, wobei wir versuchen, negative Gefühle zu vermeiden. Um motiviert zu sein, benötigen wir ein Ziel, eingebettet in einen Aktivitätsplan, der das Wann, Wo und Wie genau beschreibt. Damit der Vorsatz gelingen kann, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Der Nutzen des neuen Verhaltens muss größer sein als das bisherige Verhaltensmuster und die Motivation sollte aus eigenem Antrieb erfolgen. Wer dem Drängen anderer nachgibt, dem mangelt es oft an Durchhaltevermögen. Wer „intrinsisch“ motiviert ist, also nach der eigenen Auffassung handelt, hat deutlich bessere Chancen, den inneren Schweinehund zu zähmen. Hier sind Führungskräfte in der Verantwortung, denn es zählt zu ihrer Aufgabe, die Mitarbeiter vom Nutzen einer Veränderung zu überzeugen. Das mag mühsam und zeitaufwendig sein. Doch es ist der erfolgreichste Weg, Mitarbeiter mit ins Boot zu holen. Der Schweinehund verkrümelt sich ins Körbchen.
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Wie wahr!